Grundsätzlich ist Schmerz ein Phänomen, das im Kopf entsteht – quasi als erlernte Denkleistung, die meist einen Impuls aus der Peripherie interpretiert, aber nicht immer (Siehe später).
Sie lernen also Ihr Schmerzempfinden als Säugling anhand der Reaktion Ihrer Bezugspersonen auf Verletzungen oder körperliche Zustände, die dieses Warnsignal auslösen. Menschen, die artgerecht, liebevoll, aber ohne Drama behandelt werden, haben ein deutlich geringeres Schmerzempfinden im Vergleich zu denen, deren Bezugspersonen sehr dramatisch auf Verletzungen oder Erkrankungen reagieren (Umbrella-Parents, Helikopter-Eltern).
Die Erkenntnis, dass Schmerz im Kopf entsteht, ist wichtig, da es sich um einen Denkprozess handelt, den Sie selbst beeinflussen können. Daher helfen Zuwendung, sanfte Berührung, Beruhigung oder die Macht des Placebos.
Wir unterscheiden grundsätzlich sechs Formen von Schmerz nach ihrer Herkunft und den beteiligten Systemen, was auch die Therapie beeinflusst:
1. Nozizeptiver Schmerz
2. Neuropathischer Schmerz
3. Erinnerter Schmerz
4. Zentralnervöser Schmerz
5. Psychogener Schmerz
6. Systeminduzierter Schmerz
Diese Formen können auch kombiniert auftreten oder ineinander übergehen.
Der nozizeptive Schmerz ist der klassische Wundschmerz, bei dem nach einer Zellverletzung chemische Veränderungen im Gewebe auftreten und die Enden spezieller Nervenfasern gereizt werden. Diese leiten den Impuls zuerst ans Rückenmark und dann weiter ins Großhirn. Dieser Schmerz lässt sich allein durch Atmung, Berührung, Reiben, Kompression, Ablenkung und akuten Stress positiv verändern. Er kann aber auch durch Erwartung, Angst und chronischen Stress gesteigert werden.
Der neuropathische Schmerz entsteht, wenn der Nerv selbst irgendwo in seinem Verlauf chemisch oder physikalisch geschädigt oder gereizt wird. Hier meldet der gesamte Nerv über eine lange Strecke einen eher quälenden, schmerzhaften Reiz – beispielsweise der klassische ausstrahlende Bandscheibenschmerz.
Im Gegensatz zum genau einzugrenzenden nozizeptiven Schmerz, zeigt dieser neuropathische Schmerz eine flächen- bis streckenhafte, ziehende und quälende Qualität. Er reagiert nur geringfügig auf die zuvor genannten Maßnahmen und ist schwieriger zu therapieren. Während bei nozizeptivem Schmerz alle gängigen Schmerzmittel, einschließlich Kälte, meist gut helfen, kommen hier ganz andere Medikamente, sogenannte Antikonvulsiva (Neurontin, Lyrica etc.), zum Einsatz. Diese sind Spiegelmedikamente und müssen deshalb langsam im Körper aufgebaut werden, da sie häufig deutliche Nebenwirkungen haben. Natürlich gibt es auch noch andere Medikamente und Methoden, um neuropathischen Schmerz zu behandeln, wie z.B. Akupunktur oder Canabinoide.
Der erinnerte Schmerz oder Phantomschmerz ist ein klassischer Mechanismus im chronischen Schmerz. Durch die Neuroplastizität – das Gehirn ist in der Lage, seine Struktur und die Verknüpfungen der Nervenbahnen durch einen immer wiederkehrenden Reiz anzupassen – wird der Schmerz zu einem Teil des Lebens, der Persönlichkeit und kann auch empfunden werden, wenn der Auslöser nicht mehr vorhanden ist.
So kann ein bereits amputiertes Bein wetterfühlig oder schmerzhaft sein. Oft nehmen Betroffene gar nicht wahr, dass Schmerzen niemals durchgehend präsent sein können – dies ist biochemisch nicht möglich; es gibt immer Schwankungen- und erleben den Schmerz als kontinuierlich und somit als nie endend, obwohl es durchaus Pausen zu erleben gäbe. Ihr Schmerzempfinden ist somit in einer Dauerschleife gefangen, ebenso wie das Leid – die Basis der Chronifizierung.
Der zentralnervöse Schmerz kann aus neuronalen oder biochemischen Störungen in den Schmerzverarbeitungszentren resultieren, sodass Sie einen normalen Reiz durch Fehlregulation überempfinden oder Schmerzen haben, obwohl kein Reiz vorliegt. Dies ist sehr selten.
Der psychogene Schmerz ist ebenfalls eine der Wurzeln der Chronifizierung und hat zahlreiche Untergruppen. Entscheidend ist die Tatsache, dass hier der Schmerz durch eine psychosoziale Dysregulation oder Bedarf ausgelöst oder ein normaler akuter Schmerz dadurch verstärkt und chronifiziert wird.
Dies geschieht häufig bei Menschen, die als Kinder gelernt haben, dass sie durch Schmerzen, Verletzungen oder Erkrankungen etwas „Sozial Positives“ erleben – etwa mehr Zuwendung, Anerkennung oder Schutz vor elterlichem Streit. Ihr Körper merkt sich unterbewusst, dass es vorteilhaft ist, Schmerz zu empfinden und diesen verbal oder nonverbal nach außen zu kommunizieren. (Siehe auch Münchhausen_Syndrom weiter unten)
Oft funktioniert dies in der sozialen Gemeinschaft auch als Erwachsener sehr gut, und sie erhalten Unterstützung. Was für den einen tatsächlich hilfreich ist und den Schmerz lindert, führt bei anderen zur Chronifizierung und Verstärkung der Beschwerden.
Es ist offensichtlich, dass jede dieser Schmerzformen eine spezifische Therapie benötigt. Daher reicht die Palette von Schmerzmitteln über Psychotherapie bis hin zu Energiearbeit.
Ein besonderes Augenmerk gilt dem systeminduzierten Schmerz, der wohl am ehesten zu den erinnerten und psychogenen Schmerzen gehört. Hier wird ein Schmerz oder Leiden von den Vorfahren epigenetisch auf das Kind übertragen wird. Dieser manifestiert sich meist erst ab einem bestimmten Alter und kann nur psychotherapeutisch und systemisch behandelt werden. In der Holistischen Medizin finden Sie hierzu entsprechende Ansätze.
Dieser Schmerz kann also alle oben beschrieben Ursachen und Qualitäten haben, ist aber von eher kurzer Dauer (< 3 Monate) und kann von dem Patienten „beherrscht“ und verstanden werden und durch einfache Medikamente oder andere Anwendungen gelindert werden.
Chronischer Schmerz ist ein ganz spezielles Phänomen, das bestimmte psychosoziale Grundlagen benötigt, um entstehen zu können. Insbesondere schlechte Beziehungen, chronischer Stress, Überlastung, Ängste, Mangelernährung und kultureller Druck stehen an vorderster Stelle.
Da wir im Kopf kein separates „Schmerznetzwerk“ haben, sondern alle Impulse, die über die innere und äußere Wahrnehmung erlebt werden, in einem „Überraschungs-Netzwerk“ ankommen und von dort aus interpretiert werden, vermischen sich psychische Belastungen, physische Anspannungen und akute Schmerzreize in diesem Netzwerk und müssen wenn möglich auseinanderdividiert und richtig zugeordnet werden. Wenn dies durch innere Überlastung nicht mehr richtig funktioniert, werden seelische Schmerzen und Ängste Körperorganen zugeordnet. Oft genügt ein kleiner, realer körperlicher Auslöser, und die gesamte aufgestaute psychische Belastung tritt hinzu, da es nun endlich einen „legitimen“ Anhaltspunkt und Grund gibt.
Beim sogenannten Münchhausen-Syndrom machen missbrauchte Kinder durch heftige Schmerzen nach Bagatellverletzungen unbewusst auf ihr Leid aufmerksam. Wenn dies nicht erkannt wird, kann es zu sinnlosen Behandlungen bis hin zu Operationen und Amputationen von Extremitäten kommen.
Auch chronische Schmerzpatienten erleben oft diese unbewusste Verschmelzung und Verstärkung ihrer Schmerzen, die sie selbst nicht mehr kontrollieren können.
Neben entsprechenden Schmerzmitteln bedarf es hier unbedingt auch einer Psychotherapie, obwohl die Menschen kognitiv scheinbar völlig in Ordnung sind. Dieser Prozess läuft jedoch unterbewusst ab. Dennoch scheuen viele Menschen vor einer derartigen psychologischen Unterstützung zurück, da sie nicht als „gestört“ oder „abnormal“ gelten wollen. So wird wertvolle Zeit vergeudet, und das Leiden nimmt seinen Lauf. Nach jahrelanger Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass chronischer Schmerz ohne psychotherapeutische Begleitung nicht verschwinden wird, weil Ihr Gehirn schon umgebaut hat und er Teil ihrer Persönlichkeit geworden ist (siehe erinnerter und psychogener Schmerz).
Da chronischer Schmerz meist aus 2-3 grundlegenden Schmerzformen besteht (siehe weiter oben), erfordert er unterschiedliche Therapieansätze. Dies wird als „multimodal“ bezeichnet.
Wir beraten Sie gerne, um die passende Therapie für Sie zu finden, denn jeder Schmerz ist behandelbar!